Shadowrun: Bunker Boyz Blues (03.08.2076)
Bunker Boyz Blues
Auburn, Seattle, 03.08.2076, 17:00
1
Gleichmäßig summte der elektrische Antrieb von Sierra 5 im Leerlauf vor sich hin. Ich hatte die Drohne in eine Halterung auf der Werkbank gesteckt, und ihre beiden Rotoren wehten mir einen gleichmäßigen Lufthauch um die Nase, der nach warmem Kunststoff, Staub und Öl roch.
Ich saß auf einer umgedrehten Plastikkiste und versuchte, aus den Schwankungen der Tonhöhe die nötige Anpassung der Trimmung rauszuhören. Das Wespen-Icon der MCT-Nissan Roto-Drohne leuchtete im Halbdunkel der Halle. Das direkte neurale Interface meiner Riggerkontrolle blendete es nahtlos in die Wirklichkeit ein.
Die Schatten wurden von einem einzelnen Scheinwerfer, der auf einem Stativ neben mir stand, verdrängt. Ein AR-Diagramm zeigte das Frequenzspektrogramm der Motorengeräusche und verglich es mit den Referenzwerten der letzten Kalibrierung sowie mit den Herstellervorgaben. Die aktuelle Varianz lag bei 0,12% – ein passabler Wert.
Ich lehnte mich zufrieden zurück und nahm einen Schluck aus der Bierdose in meiner Hand. Das Icon ihres RFID-Chips zeigte neben dem bekannten Logo der Brauerei eine Getränketemperatur von 8 °C und eine verbleibende Kühldauer von 37 Minuten an und ließ einige virtuelle Tautropfen auf dem Gefäß hell aufleuchten. Verlockend. Ich brauchte keine 37 Minuten, um den letzten Rest Biers in einem einzigen langen Schluck hinunterzukippen.
Dann blendete ich das Dosen-Icon beiläufig aus, fuhr Sierra 5 in den Ruhezustand hinunter und wechselte von der AR in die VR.
Das Schummerlicht der Werkstatt wurde zur endlosen schwarzen Ebene der Matrix, auf der ich stand. Über mir schwebten die Riesenicons der großen Hosts, und um mich herum leuchteten die Geräte aus meinem PAN.
Ein kurzer Blick auf die Statuszusammenfassung zeigte mir, dass alles wie am Schnürchen lief. Keine erkannten Manipulationsversuche. Ich änderte die Parameter der Visualisierung.
Die Icons schwebten plötzlich nur noch fahl und grau im virtuellen Raum um mich herum. Langsam leuchteten nacheinander je drei blaue Bolzen auf ihnen auf – meine Marken.
Keine anderen Marken, keine anderen Probleme. Gut.
Ich änderte die Parameter wieder, und die Farben wechselten zum Gitterstandard. Die Marken wurden unsichtbar, und ich blendete auch die Anzeige meiner restlichen Geräte aus. Das Gitter tauchte in der Standardikonografie des öffentlichen Netzes um mich herum auf.
Die Icons der Autos und Laster auf der Straße vor der Werkstatt zogen vorbei, und der langweilig aussehende Host der McHughes-Filiale gegenüber bombardierte mich mit Werbung.
“Hey Chummer, wie wäre es mit den neuen leckeren Soy-Chunks im Backteig? Die sind noch besser als unsere saftigen Soy-Nuggets, die du zuletzt am 02.08.2076 um 11:34:22 Uhr gekauft hast”!
Der Abend war noch jung, und die Tastes-like-Tuna-Sandwiches, die ich zum Mittag hatte, mussten noch eine Weile reichen. Ich zögerte, lauschte auf mein Bauchgefühl und entschied mich, erstmal keine weiteren Gedanken an Essen zu verschwenden.
Ich guckte zum Host von Emerald City hoch, der da oben im Zentrum der Datenströme des öffentlichen Netzes über der virtuellen Stadt zu schweben schien. Ich wollte meine Ambitionen in der Matrix in die Tat umsetzen, also musste ich mir wohl ein Zugangspaket kaufen. Zum Glück war der letzte Run einigermaßen lukrativ gewesen, also machte ich mich daran, zum efeuumrankten und grün schimmernden Eingangsportal des Hosts zu schweben.
Noch ehe ich mich in Bewegung setzen konnte, erschien neben mir ein Fenster in der Matrix, und ein sanftes Klingeln kündigte einen Sprachanruf von Shear an.
Ich hielt inne und aktivierte die Verbindung.
Die sonst selbstbewusste Stimme des Elfen klang verunsichert, doch das hatte wahrscheinlich nichts zu bedeuten. Für ihn war die Benutzung eines Kommlinks immer noch eine Herausforderung. Ich fragte mich, wie der Mann es so jemals geschafft hat, beim Militär oder einer Sicherheitstruppe zu arbeiten. Ich ging auf Nummer Sicher und fragte den Aufenthaltsort seines Kommlinks ab – immerhin hatte er mich in Quebec ja darauf Marken setzen lassen.
Sofort ploppte ein weiteres Fenster auf, und eine dünne, orange schimmernde Linie zog sich von mir in die Ferne des Gitters zu dem Ort hin, an dem sich das Gerät in der physikalischen Welt befand. In dem Fenster stand eine Adresse, die meine Konsole sofort dem Cuppa Joe’s zuordnete, und ich war beruhigt. Wenn Shear von der Bar aus anrief, steckte er wahrscheinlich nicht in unmittelbarer Gefahr.
“Hallo Ikarus, hier ist Shear. Kannst du mich hören?”, sagte Shear.
“Ja. Hoi! Was geht?”
Ich war mir nicht sicher, ob der Elf wusste, wie man in das Kommlink sprechen musste, und ich war mir auch nicht sicher, ob man dabei überhaupt etwas falsch machen konnte.
“Hallo Ikarus, hier ist Shear. Galahad hat einen Job für uns. Kannst du mich abholen? Ich bin bei Chippie”.
Ich warf einen Blick auf das Fenster mit seinem Standort. Die Anzeige blendete die Routenplanung von GridGuide ein und zeigte, dass ich bei der aktuellen Verkehrslage keine zwanzig Minuten zu ihm brauchen würde. Und einen neuen Job konnte ich gut gebrauchen.
“Ich bin in einer halben Stunde bei dir!”, brummte ich, beendete die Verbindung, und wechselte zurück in die AR.
Zügig verstaute ich Sierra 5 in seiner neuen Drohnenhalterung und tastete noch mal prüfend die Modis ab, an denen ich in den letzten Wochen geschraubt hatte.
Sierra 2 bis Sierra 5 hingen nun in ordentlich verschraubten Racks. An der Steuerbordseite von Sierra 5 war jetzt eine unauffällige Klappe, unter der die AK97 verborgen war, und im Vergleich dazu wirkte der neue Yamaha Pulsar Taser an der Backbordseite echt harmlos. Auf dessen angepasste automatische Munitionszuführung war ich allerdings schon ein bisschen stolz.
Am meisten Spaß hatte es mir gemacht, die Kamera- und Mikrofonattrappen für Sierra 4 aus Schrott zu basteln. Ich konnte mir zwar keine guten Gründe vorstellen, warum man so ‘ne Medientechnik tatsächlich auf eine Kettendrohne bauen sollte (und nicht einfach eine Horizon Flying Eye dafür nimmt), aber auf den ersten Blick sah es garantiert harmloser aus als das verdrahtete Sturmgewehr, das darunter versteckt war.
Ich ging noch einmal an die rechte Seite des Vans und checkte die Optik der getarnten Waffenhalterung. Saubere Arbeit, fand ich, und schwang mich aus Bequemlichkeit auf den Beifahrersitz. Warum hätte ich um die Karre rumgehen sollen, wenn ich sie genauso gut auch von hier fahren konnte?
Über meine Riggerkontrolle startete ich den Motor, schickte die Zielkoordinaten aus der Lokalisierung von Shear an das Spatzenhirn des GMC Bulldog, startete das aktuelle Album von Burning Concrete und lehnte mich zurück, während das Tor der Werkstatt automatisch aufschwang und die Fahrt begann.
2
Als ich mit Romeo 1 auf den Parkplatz des Cuppa Joe’s fuhr, stand der weißhaarige, bleiche Elf schon vor der Kneipe in der diesigen Nachmittagssonne. Die virtuelle Neonfassade pries in der AR flackernd “Drinks & Snacks & Games” an. Ein ARO mit den Veranstaltungsinfos der aktuellen Woche flog auf mich zu und wurde diskret von meinem Spamfilter zu einer Staubwolke zerbröselt.
Die kantigen Umrisse meines Vans spiegelten sich in Shears dunkel getönten Goggles. Er grinste mich an, als ich neben ihm anhielt und die Beifahrertür öffnete.
Ich rutschte auf den Fahrersitz, reichte ihm die letzte Dose Hauerpils rüber, die ich noch im Handschuhfach hatte, und wartete nach einer kurzen Begrüßung ab, was er mir sagen konnte.
Shear grinste immer noch, während er mir berichtete. Er schien sich über den kurzfristigen Auftrag zu freuen. Hatte schon immer den Eindruck auf mich gemacht, lieber spontan zu handeln, als sich lange im Voraus den Kopf zu zerbrechen, da passte ihm sowas wahrscheinlich ganz gut in den Kram.
Wie auch immer, Galahad hatte ihn kurz vor unserem Gespräch angerufen und erzählt, dass ein Mr. Johnson schnell ein Team brauchte. Mehr Infos hatte er nicht. Nur noch den Treffpunkt und dass Galahad direkt dahin kommen wollte.
Ich rief die Adresse des Fish-&-Chips-Grills am Hafen von Tacoma auf, die Shear mir sagte, und warf die Karte auf die Windschutzscheibe. ‘Ne gute Stunde Fahrtzeit im Feierabendverkehr. Darauf hatte ich keine Nerven, also ließ ich wieder das Spatzenhirn von Romeo 1 die Arbeit machen und schickte uns auf die Reise.
Während wir los rollten, versendete ich mental eine Nachricht an Galahad.
“Hoi Chummer. Shear erzählt, dass wir eine Verabredung mit einem Johnson haben. Hab ihn an Bord und bin auf dem Weg nach Tacoma. Hast du Phoenix erreicht?”
Die Antwort ließ etliche Sekunden auf sich warten, doch dann erschien der ARO vor mir und entfaltete sich auf meinen Befehl hin.
“Hab ihn nicht erreicht. Bin auch unterwegs. Bis gleich!”
Ich versuchte es auch noch mal mit einem Anruf bei Phoenix, aber leider Fehlanzeige. Der Söldner war auch für mich nicht zu dranzukriegen. Ich nahm mir vor, meine Marken auf die Geräte aller Teammitglieder zu pappen, wenn ich erstmal ein Deck hätte, damit ich sie in Zukunft für solche Fragen orten könnte. Aber für diesen Run mussten wir wohl erstmal ohne Lima 1 auskommen; ohne die illegalen Chips eines Decks waren solchen Manöver nicht möglich.
Während das Spatzenhirn Romeo 1 sicher durch den Verkehr manövrierte, ging ich in den Laderaum und holte Sierra 2 aus ihrer Halterung. Kurz darauf hob ich sie aus dem Fahrerfenster in den stickigen Abendhimmel, woraufhin sie von ihrem eigenen Spatzenhirn gesteuert nach Tacoma in den Sonnenuntergang davon schwebte. Umweltschutz hin oder her – die Schwermetalle in der Luft sorgten für richtig spektakuläre Farben.
Etwa eine halbe Stunde später empfing ich Sierra 2s Luftbild von unserem Treffpunkt. Der Grill am Pier des Industriehafens war wahrscheinlich kein Feinschmeckertipp, aber er schien beliebt zu sein. Mehrere Gruppen von Hafenarbeitern in Schutzkleidung und Leuchtwesten standen und saßen essend und trinkend um das kleine, frei stehende Gebäude herum. Neben dem Imbiss war eine größere ungleichmäßig asphaltierte Fläche, auf der einige Lastwagen und Autos parkten.
Ich wies Sierra 2 an, weiter auf Schleichfahrt zu bleiben und in 80 Metern Höhe über dem Imbiss zu schweben. Das sollte hoch genug sein, um im Smog des Industriegebiets unentdeckt zu bleiben. Ich überlegte kurz, ob ich direkt in sie springen sollte, um persönlich dafür zu sorgen, dass die Überwachungsdrohne nicht von einem der Arbeiter oder schlimmer noch von einem Sicherheitssystem entdeckt würde. Aber regungslos in der Luft über einem Hafenimbiss zu schweben, ist auch mit heißem Sim keine wirklich aufregende Beschäftigung, also behielt ich nur den Videofeed und die Umgebungssensoren der kleinen Horizon Flying Eye im Auge. Ich nahm mir vor, vom nächsten Gehaltsscheck eine Schleichen-Autosoft auf meiner Konsole oder in der Drohne zu installieren.
In Gedanken ging ich die verschiedenen Varianten von MCT und NeoNET dafür durch und versuchte, die Schwarzmarktpreise zu schätzen. Mehr als ein paar hundert bis wenige Tausend Nuyen sollte sowas mich nicht kosten, aber erstmal musste ich ohne auskommen.
Leider war Sierra 2 nun fast zehn Kilometer entfernt, und die Matrix rund um den Hafen vibrierte nur so vor WiFi-Übertragungen und Spam. Ich versuchte, die Rauschunterdrückung meines Vulcan Liegelords zu optimieren, aber selbst, wenn ich bis auf meine Rauschunterdrückungsalgorithmen alle anderen Softs und Programme rausschmeißen würde, würde sich das Baby im Ernstfall noch fliegen wie eine angesoffene Ente.
Ich seufzte, was mir einen fragenden Blick von Shear einbrachte. Mir fehlte die Lust für Erklärungen und ich schloss einfach die Augen, um in die VR zu wechseln.
Das virtuelle Cockpit des Vans blieb unverändert, nur dass ich dahinter jetzt nicht mehr die verstopfte I5 sah, sondern die schwarze Matrix des öffentlichen Netzes von Seattle. Mehrere Fenster zeigten Livefeeds aller Kameras und Sensoren von Romeo 1 und Sierra 2.
Noch ein paar Fenster erschienen. Sie zeigten die mehr oder weniger übersichtlich gruppierten Echtzeitauflistungen und Analysen aller zigtausend Datenpakete, die sekündlich auf mich eintrommelten. Mit ein bisschen Konzentration erkannte ich die Muster in den Kanalüberlagerungen und Redundanzen, die ich eines nach dem anderen ausblendete und meinerseits mit Komplementärsignalen überlagerte.
Innerhalb weniger Sekunden sah ich das Ergebnis meiner Bemühungen. Aus dem tosenden Rauschen des digitalen Wasserfalls, der auf mich einstürzte, war eine sanft plätschernde Brandung geworden, die zum Verweilen einlud.
Die Rauschunterdrückung beschäftigte mich für die nächsten Minuten, ehe wir nahe genug an der Drohne waren und die ausgefeilten Algorithmen der Konsole alleine mit der Arbeit zurecht kamen.
3
Tacoma, Seattle, 03.08.2076, 19:00 Uhr
Als wir kurz darauf auf den Parkplatz vor dem Grill rollten, war von Galahad noch keine Spur zu sehen. Sierra 2s Clearsight hatte ihn bis dahin auch noch nicht entdeckt, also war er noch nicht am Treffpunkt und es hieß für uns Warten.
Shear wurde hibbelig und wollte wahrscheinlich schon alleine zum Treffen mit dem Johnson gehen, ohne überhaupt zu wissen, wen wir hier treffen würden. Sicherheitshalber blockierte ich heimlich alle Türen und spekulierte mit ihm noch ein bisschen über den Auftrag, der auf uns wartete. Zum Glück musste ich nicht viel Zeit totschlagen.
Galahad bog ein paar Minuten später auf seiner neuen Suzuki Mirage auf den Parkplatz und stieg neben Romeo 1 von seinem Hobel. Er war wie Shear und Phoenix ein Elf, aber das Klischee des eleganten Naturburschen griff bei ihm nicht. Seine Eleganz war die eines räudigen Straßenkaters. Außerdem hatte er meiner Meinung nach ein psychisches Problem oder ein paar Leichen im Seelenkeller oder beides, aber wenn er nicht gerade auf einen Kreuzzug gegen die Untoten und Ghule der sechsten Welt ziehen wollte, war er ein anständiger Kerl. Ihm vertraute ich von allen Mitgliedern unseres Team am ehesten.
Grinsend stieg ich aus dem Van und boxte ihm gegen die Schulter. Er grinste zurück und gab mir ein beiläufiges und für meine unmodifizierten Reflexe etwas zu unvermitteltes High-Five.
Gemeinsam gingen wir drei in den Grill. Die AR-Effekte des Ladens waren minimal. Nur ein freundlich grinsender, aber schlampig animierter Seelöwe winkte uns vom Flachdach des Gebäudes zu und schubste mit der Nase AROs mit den Empfehlungen des Tages zu uns. Naja. Aufwändigere Technik hätte sich gegen den Datenverkehrsspam, der hier am Rande des Hafens umherflog, wahrscheinlich sowieso nicht durchsetzen können.
Drinnen war nicht viel Platz. ‘n paar weiß gekachelte Sitznischen enthielten abgesehen vom Tresen und den Barhockern davor die einzigen Möbel. In einer Nische links der Eingangstür saß auf einem für ihn viel zu kleinen Stuhl ein Troll am Tisch. Galahad sah ihn, ging auf ihn zu und begrüßte ihn.
Der Troll, unser Mr. Johnson, trug einen dunkelgrauen Nadelstreifenanzug. Seine derbe Haut hatte einen bläulichen Schimmer, und seine Ohren und Hörner waren gleichermaßen imposant und standen zu beiden Seiten seines riesigen Schädels ab.
“Hallo, die Herren. Bitte setzen Sie sich; wir haben keine Zeit zu verlieren!”, begann er ohne Umschweife, während Galahad sich zu ihm setzte.
Ich nickte ihm zu und murmelte zur Begrüßung meinen Straßennamen, während ich mich auf die Bank im gegenüber schob.
“Ikarus”.
Shear tat es mir nach. Ich deutete mit dem Daumen über meine Schulter auf eine Frau, die nur ein paar Meter entfernt hinter dem Tresen an einer Fritteuse stand und sicherlich jedes Wort verstand.
“Gehört sie auch dazu?”, fragte ich ihn.
Aber meine Ironie ging nach hinten los. Mr. Johnson schien sich hier sicher zu fühlen.
“Hey, das ist die Frau meines Bruders!”
OK. Vielleicht sagte er auch etwas Anderes, aber auf jeden Fall gehörte der Imbiss zu Johnsons Familie. Das konnte ganz gut zu wissen sein.
“Sie kennen bestimmt die Fabulous Bunker Boyz, oder? Die haben in den letzten Monaten sieben Banküberfälle gemacht, und ich weiß aus sicherer Quelle, dass sie morgen früh wieder zuschlagen werden.
Fragen Sie mich nicht, woher.”
Ich dachte nach. Irgendwie war ich wohl nicht auf dem Laufenden, was die aktuellen High-Profile-Crimes im Plex anging. Aber ich war ja auch in den letzten Wochen sehr damit beschäftigt, selber ein Low-Profile zu halten. Zumindest sagte mir der Name nichts, also war ich froh, dass unser Johnson fortfuhr.
“Das sind immer fünf plus ein Fahrer. Die Bande hat ihr Versteck in einem Bunker in Redmond. Sie sollen dort eindringen und einen Kode beschaffen, während die Fabulous Bunker Boyz den nächsten Überfall durchführen.
Sie werden morgen um 9:14 Uhr wieder zuschlagen, und die Bande wird etwa eine Stunde Anfahrt einkalkulieren.
Der Kode wird neben einem Namen stehen, wahrscheinlich als Hardcopy. Sie haben die Erlaubnis, außer dem Kode alles zu behalten, was sie dort finden.
Als Bezahlung biete ich Ihnen ¥ 3.500 pro Kopf.”
Shears Mimik und Körperhaltung veränderten sich. Nur ein kleines bisschen, so dass man es auf den ersten Blick wahrscheinlich gar nicht bemerkte. Aber ich hatte den Elfen schon einige Male verhandeln sehen und wusste, wonach ich Ausschau halten sollte.
Wenn er einen nicht gerade selbst in der Mangel hatte, war es ein echt eindrucksvolles Schauspiel, Shear an allen zwischenmenschlichen Registern und Hebeln ziehen zu sehen.
Drek, ich wünschte, ich könnte das auch so, aber nur zu wissen, was er tat, war nicht das Gleiche, wie es auch tun zu können.
Sein Rücken wurde ein kleines bisschen gerader, das Kinn ein bisschen mehr erhoben. Shear drehte sich frontal zu Mr. Johnson und breitete gleichzeitig kaum merklich die Arme vor sich aus, so dass seine ganze Haltung offen und entgegenkommend wirkte.
Er lächelte leicht, kaum merkbar, und legte die Stirn in angedeutete sorgenvolle Falten.
Ich wusste nicht, ob auch Magie zu seinem Verhandlungsgeschick gehörte, aber ich konnte seine subtile Message an Johnson förmlich hören:
Ich würde den Auftrag so gerne für Sie machen, Mr. Johnson, und Sie würden auch so gerne mich für den Auftrag haben, weil ich so nett und kompetent und gut aussehend bin, aber der Preis ist ein Problem, das wir noch angehen müssen! – Aber das kriegen wir hin, wenn Sie mir nur ein bisschen entgegen kommen.
Das sagte Shear allerdings nicht, sondern sprach beiläufig und optimistisch von Materialkosten und Verschleiß, von Arztrechnungen und Munition, und bot ihm immer wieder an, dass er diese oder jene Ausgabe ja noch übernehmen könne, wenn er wollte. Schließlich willigte Mr. Johnson ein und bot ¥ 4.000 pro Kopf, ¥ 1.000 davon im Voraus!
Als wir uns einig waren, kriegten wir einige weitere Informationen: Der Bunker befand sich im Moneypenny-Einkaufszentrum in Redmond, und zwar im untersten Stockwerk der Tiefgarage. Dort würden wir zwei Eingänge in den Komplex finden. Der Name, der neben dem gesuchten Kode stehen sollte, lautete Weinberg.
Nachdem wir von Mr. Johnson drei Credsticks mit jeweils ¥ 1.000 über den zerkratzten Duraplast-Tisch geschoben bekamen, nickte er uns grummelnd zu und lehnte sich zurück.
„Wo sollen wir uns melden, wenn wir den Kode haben?“, fragte ich, während ich zusammen mit den Anderen aufstand.
Mr. Johnson schob mir einen ARO mit einem Kommcode zu.
„Hier“!
Ich nickte nur und ging dann mit meinem Team wortlos nach draußen. Noch im Gehen rief ich bei meinem alten Mentor, Sergeant Sven Anderson, an.
Zum Glück war auf meinen alten Kollegen Verlass. Nach wenigen Sekunden hörte ich seine kratzige Stimme in meinem Kopf. Der Sarge schien ausnahmsweise nicht im Dienst zu sein und klang entspannt und ausgeruht.
Ich sprach ihn auf die Fabulous Bunker Boyz an, und tatsächlich – er kannte den Fall.
Die Bande zog ihre Brüche als klassische Banküberfälle durch. Sie schien immer die völlige Kontrolle über die Sicherheitssysteme zu haben und schaltete alle Aufzeichnungen und Alarme unbemerkt aus. Das Einzige, was man über die Bankräuber zu wissen glaubte, war, dass das Fluchtauto ein silberner Van war.
Interessanterweise waren bis jetzt nur Filialen der North Seattle Bank betroffen.
Noch während wir sprachen, startete ich eine GridGuide-Anfrage und koppelte sie mit einer kleinen Routine, die ich ad-hoc zusammensetzte. Als Ergebnis erhielt ich alle Filialen der Bank, die bei normaler Verkehrslage innerhalb einer Stunde mit einem Auto von der Moneypenny-Mall aus zu erreichen waren.
Verdammt, ich würde Sgt. Sven gerne ein paar Tipps geben, um die Bande in Ihrem Versteck Hopps nehmen zu können, aber ich wollte unseren Auftrag auch nicht gefährden. Die Gerechtigkeit würde warten müssen, bis wir unsere Bezahlung hatten. Wenigstens konnte ich ihn warnen, dass mein Bauchgefühl mir sagte, dass die Bande morgen am Vormittag wieder zuschlagen würde und dass ich glaube, dass es in einer der drei Filialen der North Seattle Bank, die ich im schickte, sein könnte.
Nachdem ich die Verbindung beendet hatte, brauchten Shear, Galahad und ich uns nicht lange zu beraten. Wir beschlossen, jetzt sofort noch zur Mall nach Redmond zu fahren und uns dort unauffällig umzuschauen.
Soweit ich wusste, hatte das Gebiet von Redmond um die Mall bei den Knights das Sicherheitsrating C.
Wir luden Galahads Motorrad in den Van und fuhren los. Wieder ließ ich den Piloten fahren; Berufsverkehr in der Stadt kickte mich einfach nicht.
Nachdem ich Galahad ein Fenster mit dem Suchassistenten von NEOtube geöffnet hatte, holte ich Sierra 2 zurück an Bord.
Galahad überlegte kurz, startete eine Suche nach „Fabulous Bunker Boyz“, und öffnete wahllos den ersten angezeigten Clip.
Das Bild war verwaschen und die Aufnahme ohne Ton. Wie es aussah, war der Film mit einem veralteten Cyberrecorder aufgenommen worden und nicht von den Sicherheitssytemen einer Bank. Die Froschperspektive und die Körper von Bankkunden und Sicherheitsleuten, die teilweise das Bild verdeckten, sprachen dafür, dass er von einem Bankkunden oder Bankmitarbeiter während eines Überfalls aufgenommen worden war. Das Video zeigte fünf mittelgroße, vermummte Personen mit altmodischen Militärstahlhelmen und Militäruniformen, die jeder eine moderne Schusswaffe trugen. Dann brach die Wiedergabe mit einem Störsignal ab.
Offensichtlich gingen die Fabulous Bunker Boyz mit Zeugen, die sie zu filmen versuchten, nicht zimperlich um. Galahad und Shear schauten noch einige Videos an, aber mehr Infos über die Gangster kriegten wir dadurch nicht.
4
Die Sonne war dabei, mit einem spektakulären Glühen hinter der Renraku-Arkologie im Puget Sound zu versinken. Die glänzenden Dächer der Autos und Vans auf der I5, die sich endlos vor uns hinzuziehen schienen, wirkten dadurch ein bisschen wie glitzernde Edelsteine.
Aber eigentlich waren sie einfach nur im Weg. Ich stellte mir vor, wie es wäre, statt des GMC Bulldogs einen Schwebepanzer wie Wild Bill zu haben und einfach über alle hinweg brettern zu können. Ein Traum!
Das Einkaufszentrum lag direkt an der 520 an der Grenze zu Bellevue, so dass uns die Fahrt nach dem endlosen Geschiebe durch den Berufsverkehr Richtung Downtown über die Lacey-Murrow-Brücke und den Lake Washington führte. Dutzende kleiner und großer Boote segelten und fuhren auf dem See in der Abendsonne umher. Was für ein Leben!
Wenn man es erstmal so weit gebracht hatte, dass man seine Feierabende auf einem eigenen Boot verbringen konnte, hatte man bestimmt keine Sorgen mehr.
Diese gierigen, arroganten, verwöhnten, rücksichtslosen Verbrecher!
Trotz der schönen Aussicht war meine Laune mies. Aber ich hatte auch Anderes zu tun als zu träumen oder die Aussicht zu genießen. Stattdessen behielt ich die mit gepanzerten Toren versperrten Ausfahrten der Konzernenklaven, an denen wir vorbeifuhren, im Auge. Alle Viertel zwischen Downtown und Redmond hatten Sicherheitsratings von AA und höher.
Es wimmelte hinter den Mauern, die Bellevue vom Rest der Stadt abschotteten, förmlich von Knights. Aber die offiziellen Sicherheitsdienstleister der Metropolregion Seattle machten mir keine Sorgen. Straßenkontrollen auf den Interstates und Expressways waren selten, und ich vertraute auf die gute Tarnung meiner Ausrüstung und auf die Qualität meiner gefälschten SINs und Lizenzen.
Sorgen machten mir die privaten Mietcowboys und Sicherheitsfirmen. Manche von ihnen schossen lieber eine Anti-Fahrzeug-Rakete nach einem verdächtigen Auto ab, statt das Risiko einzugehen, das Sicherheitsempfinden ihrer reichen Brötchengeber zu gefährden. Und ihre teure Sensorelektronik konnte wahrscheinlich die Signaturen meiner Fahrzeugbewaffnung eher aufnehmen als es die notorisch schlecht ausgestatteten Streifenwagen der Knights vermochten.
Außerdem musste man auf diesem Stück des Highways immer mit durchgeknallten Go-Gangs rechnen, die es den Schnöseln, die sich hinter ihren Festungsmauern hervor trauten, mal so richtig zeigen wollten. Und in einen Straßenkrieg zwischen den Lakers, den Knights, und Dutzenden wild umher ballernder Sicherheitskräfte wollte ich heute Abend auf keinen Fall gezogen werden.
Doch zum Glück war die Fahrt nach Redmond ereignislos.
Das Moneypenny-Einkaufszentrum war verwinkelt, alt und nicht groß genug, um die teuren Ladenketten als Mieter anzulocken. Rund um die Zufahrten lockte AR-Werbung die Massen mit günstigen Preisen, simpler Unterhaltung und vollen Tellern. Virtuelle Kuppeln, Türme und Lasereffekte gaben der Mall einen majestätischen und modernen Anschein, obwohl das Gebäude schon viel zu lange im ätzenden Regen Seattles herumstand.
Ich ließ Romeo 1 eine endlose Schleife um das Einkaufszentrum fahren und schickte Sierra 2 und 3 durch das Fenster auf Erkundungstour.
Sierra 3 blieb auf Beobachtungsposten über der Mall. Ich aktivierte eine Alarmkomponente in der Clearsight-Autosoft, die mich auf silberne Vans, die ab 08:00 Uhr die Mall verließen, aufmerksam machen sollte. Wenn sie regungslos auf der Stelle verharrte und den Energieverbrauch für alle anderen Sensoren außer den Kameras minimierte, würde sie wahrscheinlich die zwölf Stunden bis dahin durchhalten, ohne dass ich sie zwischendurch laden musste.
Nachdem ich sie an einer geeigneten, unauffälligen Position geparkt hatte, zeigte die Hochrechnung des Energieverbrauchs allerdings nur eine Laufzeit von 10:01:12 an.
Wie es aussah, musste die kleine Vektorschubdrohne ununterbrochen den leichten Wind ausgleichen, der aus Nord-West-West wehte. Ich wechselte die Wahrnehmung der optischen Sensoren auf das Infrarotspektrum und hielt Ausschau nach einem besseren Standort.
Da!
Aus mehreren Lüftungsauslässen auf dem Dach des Gebäudes blies ein kontinuierlicher Strom warmer Luft nach oben. Ich parkte Sierra 3 darin, und tatsächlich: der Auftrieb durch die Abgase reduzierte den Energieverbrauch um fast 39% und verbarg zusätzlich die Abwärme der Vektorschubdüsen der kleinen Beobachtungsdrohne vor neugierigen Blicken.
Voraussichtliche Laufzeit 13:52:12 – hoffentlich lief die Lüftung die ganze Nacht über und das Wetter blieb, wie es war!
Ich konzentrierte mich auf Sierra 2 und flog sie in das Parkhaus. Das war gut besucht, es gab nur noch 17 freie Plätze, und erstreckte sich drei Stockwerke tief in den Boden hinab. Auf der untersten Ebene zeigte uns die Drohne dann die gesuchten Türen.
Zwischen zwei nicht gekennzeichneten Stahltüren befand sich eine dritte mit der Aufschrift „Durchgang verboten“.
Ich parkte Sierra 2 zwischen einigen verwinkelten Lüftungsschächten unter der Decke und ließ sie offline gehen. Bis zum nächsten Morgen um 8:30 Uhr sollte sie die Türen beobachten und dann wieder online gehen und auf Befehle warten.
Kameras konnte ich nicht entdecken, aber wenn die Fabulous Bunker Boyz wirklich die Matrixsicherheit der Banken, die sie überfielen, ausschalten konnten, würden sie sich bestimmt auch in ihrem Versteck mit Sicherheitstechnik umgeben.
Shear meinte, dass er sich das ganze jetzt mal aus der Nähe ansehen wollte.
“Lass uns doch einfach mal da vorbei gehen”, meinte er gelassen und schob sich die Goggles auf die Stirn, um in der Abenddämmerung besser sehen zu können.
Das gefiel mir gar nicht.
Nur, weil wir keine Kameras entdeckt hatten, hieß das nicht, dass keine da waren.
“Keine Sorge”, murmelte Shear nur, als er meinen skeptischen Blick sah, und war im nächsten Moment plötzlich verschwunden.
5
Moneypenny Mall, Redmond, Seattle, 03.08.2076, 20:30
“Shear? Shear!? Verdammt, bist du noch da?”, rief Galahad und fuchtelte wild mit den Händen durch die Luft.
Ich checkte die Innenraumkameras und Bewegungssensoren, aber sie zeigten keine Spur unseres Magiers. Auch die Außenkameras und Sensoren von Romeo 1 konnten Shear nicht mehr sehen. Ich rief die Sensordaten von Sierra 3 auf, der etwa zweihundert Meter entfernt über dem Dach des Einkaufszentrum schwebte, aber auch da fand ich keine Spur des Elfen.
Shear hatte sich in Luft aufgelöst.
Plötzlich rief Galahad neben mir überrascht auf.
“Ha, da bist du ja! Ikarus, Shear ist noch da! Er ist immer noch im Van!”, sagte er aufgeregt.
Trotzdem ich angestrengt auf die Stelle starrte, die Galahad mir zeigte, sah ich niemanden.
“Ich konnte das früher schon manchmal, aber jetzt klappt es irgendwie immer!”, freute er sich.
Dann fing er an, laut zu rufen.
“Hah! Hah! Hah!”
What the fuck!? Magie war mir einfach viel zu unberechenbar. Aber wenn Galahad behauptete, dass er Shear sehen konnte, dann war es so. Nur was sollte dieses Rufen? Noch ehe ich ihn fragen konnte, stieß er mir einen Finger in die Seite und zeigte auf den Bürgersteig.
“Halt mal an, damit Shear aussteigen kann!”
Ich fuhr an den Kantstein und stoppte Romeo 1. Als die Seitentür aufglitt, hörte ich nicht das geringste Geräusch. Seltsam. Zwar war der Servomotor nicht laut, aber so unauffällig war der Mechanismus sonst nicht. Die Tür glitt wieder zu, und ich fädelte mich in den dichten Verkehr ein, diesmal, ohne den Autopiloten zu aktivieren. Galahad sah weiter aus dem Fenster und schien jemandem hinterher zu blicken.
Gemächlich steuerte ich Romeo 1 weiter um das Einkaufszentrum herum. Nach zwei Runden rief mir Galahad plötzlich zu, dass Shear am Straßenrand wartete. Ich fuhr zu der Stelle, die er mir zeigte, und hielt an. Die Tür glitt genauso geräuschlos wie vorher auf und wieder zu. Ich nahm an, dass Shear an Bord war, fuhr los, und tatsächlich – der Gurtalarm informierte mich, dass der BeifahrersItz belegt war, ohne, dass die Person sich angeschnallt hätte.
Gewichtslos war Shear also durch seine Magie nicht geworden. Wenige Augenblicke später sah ich aus dem Augenwinkel, wie sein Körper plötzlich sichtbar wurde.
“Da sind drei Türen; zwei haben Mag-Karten-Schlösser, und zwischen den beiden Türen ist noch eine Stahltür, die kein Schloss oder einen Griff hat. Das ist die, auf der ‘Durchgang verboten’ steht”, berichtete Shear unaufgefordert.
Irgendwie hatte ich mir mehr erhofft. Immerhin wirkte es nicht so, als wäre er bei seiner Erkundung gesehen worden. Wir beschlossen, es für den Abend sein zu lassen und nach Hause zurück zu fahren. Romeo 1s Pilot brachte uns über die 405 und 167 direkt nach Auburn. Wenn man Downtown umfahren kann, brauchte man für die Strecke zum Glück kaum länger als eine Stunde. Ich setzte Shear und Galahad an der Kirche ab, in der die beiden jetzt zusammen Unterschlupf gefunden hatten, und verabschiedete mich. Zehn Minuten später saß ich auf meinem Sofa und überlegte, wie ich etwas über die verschlossenen Türen im Parkhaus der Mall herausfinden konnte.
Ich entschied mich, es mit einer einfachen Suche in den öffentlichen Bereichen der Matrix zu versuchen. Nach einigen Minuten konnte ich die Brandschutzpläne des Einkaufszentrums einsehen. Der mittlere Raum war mit “Reinigungsmittel” beschriftet; die beiden anderen Türen existierten angeblich nicht. Wenn ich mehr wissen wollte, müsste ich wohl in einen Host eindringen. Ohne ein Deck ein Ding der Unmöglichkeit. Ich seufzte, aktivierte ohne Aufzustehen die Aufheizfunktion einer Portion Mac’n’Cheese aus meinem Küchenschrank über ihr RFID-Icon und ging dann doch zum Kühlschrank, um mir eine Dose Bier zu holen. Nach einem kurzen Zögern rief ich Galahad an.
Der saß mit Shear gerade in seiner Bude zusammen. Auch die beiden schienen sich auf den Einsatz am nächsten Tag vorzubereiten. Wir hatten noch keine Uhrzeit für unser Treffen abgemacht, so dass wir verabredeten, dass ich Galahad und Shear am nächsten Morgen um 06:00 Uhr an der Kirche abholen würde. Ich überlegte kurz, ob wir uns noch einmal absprechen sollten, aber wenigstens dieses eine Mal wollte ich mich einfach darauf verlassen, dass die Beiden Profis waren und wussten, was sie taten. Was auch immer sie herausgefunden hatten oder noch herausfinden würden – während der Fahrt morgen zur AO war auf jeden Fall genug Zeit zum Austausch. Also verabschiedeten wir uns etwas wortkarg; auch Galahad schien keine große Lust auf ein Gespräch zu haben.
6
Auburn, Seattle, 04.08.2076, 06:00
Als ich das Team am nächsten Morgen einsammelte, sah Shear angeschlagen aus. Ich wusste nicht, was ihm zugestoßen war, aber das letzte Mal hatte ich ihn so gesehen, nachdem er im Astralraum von einem Geist angegriffen worden war. Was war passiert? An seiner Nase klebten angetrocknete Blutreste, und am unteren Rand seiner Goggles konnte ich tiefe, dunkle Augenringe sehen. Ich drückte beiden einen selbsterhitzenden Becher Kaffee in die Hand und nippte an meinem. Ohne viele Worte legte sich Shear auf die Bank im Laderaum meines GMC Bulldogs und schlief innerhalb weniger Sekunden ein. Ich ließ ihn in Ruhe und fragte nicht weiter nach. Shear war ein Profi und würde mir wichtige Details noch berichten, wenn es soweit war.
Galahad erzählte mir während der Fahrt, dass er einen Decker beauftragt hatte, in den Aufzeichnungen und Plänen des Katasteramts nach den Türen zu suchen. Das Ergebnis war mager; die Türen galten als zugemauert, was dahinter verborgen lag, war nie digital erfasst worden. Immerhin konnte der Decker bestätigen, dass die mittlere Tür zu einem Putzmittellager oder so was führen sollte. Was sich tatsächlich dahinter verbarg, wussten wir natürlich trotzdem nicht. Ich verglich die Karte, die mir Galahad virtuell zuschob, mit der, die ich im System des Einkaufszentrums gefunden hatte, und immerhin stimmte die Postion der Putzmittellagers überein.
Die Fernabfrage von Sierra 3 ergab keine Besonderheiten. Die Drohne war über Nacht im Luftausstrom der Lüftungsschächte geblieben und hatte noch Energie für einige Stunden Flugbetrieb. Die Kameras zeigten mir keine Besonderheiten. Dann konzentrierte ich mich wieder auf meinen Kaffee. Wie es aussah, würden wir erst vor Ort an neue Informationen kommen können, wenn Sierra 2 aus ihrem programmierten Ruhezustand erwachte.
Ich nutzte die restliche Zeit während der Anfahrt, um die Clearsight-Soft meiner Konsole um eine Such- und Markierfunktion für den Namen Weinberg zu erweitern.
Moneypenny Mall, Redmond, Seattle, 04.08.2076, 08:00
Wir fuhren schon die fünfte Runde um das Einkaufszentrum, als es endlich Zeit war, Shear zu wecken. Der war überraschend ausgeruht und lächelte uns erwartungsvoll an, als wir ihn vorsichtig anstießen.
Nachdem der Elf sich zu Galahad und mir gesetzt hatte, besprachen wir unser weiteres Vorgehen. Noch ehe Sierra 3 aus aus dem Ruhezustand aufgewacht war und uns hätte berichten können, drängten die beiden ungeduldig darauf, in das Parkhaus zu fahren. Schweren Herzens gab ich um 08:15 Uhr nach und parkte Romeo 1 in der untersten Etage in Sichtweite der geheimnisvollen Türen.
Galahad wäre am liebsten sofort ausgestiegen und hätte sich daran gemacht, die Türen zu öffnen.
“Kannst du die Türen nicht vielleicht von hier aus irgendwie mit Magie erkunden? So als Geist?”, schlug ich Shear vor.
Aber der winkte nur ab.
“Nee, das ist zu gefährlich, da kann viel passieren.”
Das konnte ich kaum glauben. Nach dem, was Phoenix und er über seinen plötzlich Ausfall auf dem Weg in die Wälder von Auburn erzählt haben, hat er genau das getan, als er von einem Bärengeist oder so etwas angegriffen und fast getötet wurde.
Oh.
VIelleicht hatte Shear doch Recht und dieses magische Auskundschaften barg Risiken. Trotzdem. Jeder von uns trug Risiken für die Teile der Arbeit, die nur er erledigen konnte. Wenn eine meiner Drohnen gegrillt würde, während ich über heißes Sim mit ihr verbunden war, würde mir auch das Hirn gebrutzelt werden. Aber mit Shear war kein Verhandeln möglich.
Immerhin konnte ich die beiden lange genug im Van halten, um die Übertragung von Sierra 3 abzuwarten. Doch die Aufzeichnungen, die wir uns zusammen in einem HUD-Fenster ansahen, ergaben keine Besonderheiten und bestätigten nur, was wir schon aus den Karten geschlossen hatten. Der mittlere Raum wurde als Lager für Putzzeug genutzt. Seit dem frühen Morgen hatten sich immer wieder Mitarbeiter vom Reinigungspersonal mit Material eingedeckt.
Shear meinte das auch. Obwohl er nicht erklärte, woher er das wusste, glaubte ich, dass er das durch Magie herausgefunden hatte, denn er schien sich sehr sicher zu sein.
Ich versuchte, mit den Beiden abzusprechen, wie wir mit den Fabulous Bunker Boyz umgehen würden. Schließlich konnten die ja – aus welchen Gründen auch immer – noch in ihrem Versteck sein und womöglich auf uns warten. Wer weiß, ob eine Drohne oder Shear entdeckt worden waren. Ich erinnerte beide daran, nicht scharf zu schießen, falls uns jemand erwartete, aber ich war mir nicht sicher, ob davon etwas bei ihnen ankam. Besonders Galahad machte mich fast wahnsinnig. Er bestand darauf, dass die Bankräuber sicher längst weg seien und wir jetzt endlich anfangen sollten.
Immerhin trugen beide ihre Microtransceiver, aber ich konnte sie nur mit viel Drängen dazu bringen, die WiFi-Funktion zu deaktivieren und den Nahbereichsfunk zu benutzen.
Schließlich stiegen Galahad und Shear einfach aus und gingen auf die Türen zu.
Kurz dachte ich darüber nach zu versuchen, sie zum Umkehren zu bewegen, und fing schon an, ihnen etwas hinterher zu rufen. Aber dann entschied ich mich dagegen. Wenn die Gauner das Parkhaus tatsächlich mit Kameras überwachten, wäre ein Fahrzeug, aus dem minutenlang niemand ausstieg, letzten Endes auch verdächtig.
Ehe ich meinem Team hinterher eilte, zog ich meinen ChemSuit-Poncho über und legte den Respirator an, um mein Gesicht zu verbergen – schließlich wollte ich nicht auch noch auf den Überwachungsaufnahmen erkannt werden können.
Noch einmal suchte ich nach versteckten Kameras. Ich passte die Visualisierungsparameter meiner AR-Projektion an, um fremde Filter und Kennzeichnungsblockaden zu umgehen. Außerdem blendete ich alle öffentlichen Ebene aus. Die AR-Projektionen des Parkraummanagements mit ihren überdimensionierten Hinweispfeilen und Markierungen verblasste ebenso wie die Werbung und Wegweiser der Mall. Trotzdem konnte ich keine WiFi-aktiven Überwachungssysteme finden.
Seufzend sprang ich aus Romeo 1, griff nach meinem Magschloss-Knacker, einem Multitool und meiner Ares Predator, und begann mit meiner Arbeit.
Der Magschlossknacker hatte keine Probleme damit, die beiden Türen zu öffnen. Nachdem ich die Schließmechaniken mit ein paar Handgriffen modifiziert hatte, war ich mir sicher, dass wir nicht durch eine Automatik im inneren des Bunkers eingeschlossen werden konnte.
Hinter beiden Türen befanden sich kurze, von schmucklosen LED-Lampen beleuchtete Gänge, die auf eine abwärts gehende Treppe zuführten.
Wir entschieden uns für den rechten Gang. Im anderen Gang wies ich Sierra 3 an, die Treppe und den Eingang mit ihren Sensoren zu überwachen. Dann stieg ich hinter Galahad in den Bunker hinab, und Shear folgte mir.
7
Hinter der Biegung des Ganges und den ersten Stufen führte eine Wendeltreppe in die Tiefe. Vorsichtig näherten wir uns den Metallstufen. Ich hielt an und lauschte in die Tiefe. Außer einem leisen, monotonen Summen hörte ich nichts. Die Luft war kühl und roch nach Staub, kaltes LED-Licht erhellte das Treppenhaus. Kein einziges Icon oder ARO war in der AR zu sehen. Ich veränderte wieder die Visualisierungsparameter und hielt nach Objekten in Schleichfahrt Ausschau, aber es gab absolut nichts zu sehen.
Ich nickte Galahad zu, und wir gingen hintereinander die Treppe hinab. Unsere Schritte hallten bedrohlich laut durch den Schacht. Ich suchte weiter nach verräterischen Icons, die auf Überwachungselektronik oder Fallen hinweisen konnten, sah allerdings kein einziges Icon. Das beunruhigte mich mehr, als wenn der Bunker vor Geräten wimmelte.
Als Galahad dann die Tür am Fuss der Treppe öffnete, gab es keine Vorwarnung. Er sah etwas, rief laut aus “eine Drohne!”, und rannte hinein. Ich konnte nichts sehen, weil er mein Blickfeld verdeckte, und blieb einen Augenblick lang wie versteinert stehen. Shear reagierte schnell; er zog die Tür vor meiner Nase zu und ging in Deckung.
Nur einen Sekundenbruchteil später erklang das Rattern einer vollautomatischen Gewehrsalve. Dem Klang nach war es ein Sturmgewehr, möglicherweise eine AK97. Wir rechneten mit dem Schlimmsten. Sekunden vergingen, in denen wir zuerst ein gedämpftes Scheppern hörten und dann nichts mehr.
Vorsichtig öffnete Shear die Tür wieder. Dahinter lag ein Gang, der nach etwa zehn Metern um eine Ecke nach links bog. Vor dieser Ecke lagen die Überreste eines einfachen Sentry-Systems neben dem verwundeten Galahad.
Weder das Gestell noch die daneben liegende AK97 zeigten ein AR-Icon. Auch der Gang und die zwei einfachen Stahltüren an der linken Seite des Ganges wirkten inaktiv. Wir beeilten uns, zu Galahad zu kommen. Der Elf hatte mindestens einen Treffer in den Bauch abbekommen und blutete stark. Es sah nicht gut aus. Ich vermutete, dass wir froh sein konnten, wenn wir ihn ohne schnelle Hilfe lebend aus dem Bunker wieder raus bekamen.
Shear machte sich an Galahads Rüstung zu schaffen und legte dessen Oberkörper frei. Auf der nackten, vernarbten Haut des Elfen wirkte die klaffende Wunde noch bedrohlicher. Ich glaube, ich konnte sogar einige Darmschlingen sehen! Zum Glück hatte unser Magier sein MedKit dabei, das er jetzt bereit machte und auf die Wunde ansetzte. Es piepte und surrte und stellte uns einfache Fragen zu Galahads Zustand, die wir so gut es ging beantworteten. In der AR sah ich anatomische Diagramme und Skizzen, die das Ausmaß der Verletzung dokumentierten. Schließlich forderte das Gerät uns auf, das Behandlungsmodul auf die Wunde aufzulegen.
Galahad zuckte zusammen, ehe die Betäubungsmittel zu wirken begannen und das MedKit mit der Wundversorgung begann. Nach einigen Minuten war es fertig. Shear hob den kleinen Kasten von Galahads Bauch und befestigte es wieder an der Vorrats- und Diagnoseeinheit. Die Bauchwunde war von einer weißen, matten Schicht versiegelt, die an einen altmodischen Verband aus Binden und Stoff erinnerte, aber wohl modernste Nanotechnologie zur Bekämpfung von Infektionen und Blutverlusten beinhaltete.
Mühsam zog sich Galahad seine Rüstung wieder an und setzte sich auf. Shear und ich reichten ihm die Hände, um ihn hoch zu ziehen. Mit zusammengebissenen Zähnen gelang es ihm, sich vollständig aufzurichten.
“Uff. Danke.”, stieß er angestrengt hervor.
Ich war ein wenig beruhigt.
Wenn wir den Auftrag noch ausführen wollten, mussten wir uns beeilen, also machten wir uns daran, die beiden Türen zu untersuchen. Shear griff nach dem runden Knauf und schrie sofort erschrocken auf. Er zog seine Hand zurück und blieb zitternd im Gang stehen.
“Ein Stromschlag – die Tür ist verdrahtet!”, krächzte er.
Doch nach wenigen Sekunden hatte er sich wieder im Griff und schob die Tür mit seinem Fuß vollständig auf. Dahinter zeigte sich eine schäbige, kahle Toilette. Wer sicherte eine Toilettentür mit einer Falle!? Die zweite Tür war nicht gesichert, wir fanden allerdings nur einen recht gemütlichen Aufenthaltsraum mit Sofa und Küchenzeile dahinter.
Bevor wir den Bunker allerdings weiter durchsuchen konnten, mussten wir noch einmal eine Pause machen. Galahads Verband war vollständig durchgeblutet, und der dazugehörige RFID-Chip meldete die Überlastung der Flüssigkeitsbindungskapazität und die Erschöpfung des im Nanoverband enthaltenen Schmerzmittelvorrates. Galahad hatte demnach mindestens weitere 419,3 ml Blut verloren und schien starke Schmerzen zu haben.
Shear runzelte die Stirn, presste die Lippen zusammen, zog das nun nutzlose Pflaster ab und hob seine Hände ein wenig. Er sah dadurch aus wie ein Priester, der etwas segnete. Ohne, dass ich etwas sehen konnte, schloss sich Galahads Bauchwunde innerhalb weniger Sekunden. Beeindruckend! Danach ging es unserem Verwundeten deutlich besser und er konnte uns ohne Pausen folgen.
Der Rest des Stockwerks war verwinkelt und enthielt Einrichtung aus vielen verschiedenen Jahrzehnten. Einige der Räume wirkten verlassen, während andere frische Nutzungsspuren zeigten. Trotzdem machte alles einen leblosen Eindruck. Wir fanden keine persönlichen Gegenstände, aber mehrere nicht beschriftete Inhalatoren, die wahrscheinlich eine Kampfdroge enthielten. Galahad steckte sie ein; ich nahm an, um sie später zu Geld zu machen.
Leider war eine weitere Tür durch Strom gesichert, was mir Herzrasen und kribbelnde Finger einbrachte, als ich sie ahnungslos öffnen wollte. Zum Glück passierte nichts Schlimmeres. Shear schlug vor, die Türen von da an mit einem Phasenprüfer zu testen, und tatsächlich – die Fallen waren so rudimentär und altmodisch, dass die betroffenen Türklinken dauerhaft unter Strom gesetzt worden waren. Der Trick mit dem Phasenprüfer funktionierte! Überhaupt fanden wir in diesem ganzen Stockwerk des Bunkers keine fortgeschrittenere Technologie als die altmodische Selbstschussanlage.
Leider stieß ich noch auf eine zweite davon. Nachdem ich die Hintertür einer verlassenen Großküche geöffnet hatte, fand ich mich in einem kahlen Gang wieder, der nach links und rechts weiter lief. Noch ehe ich Einzelheiten wahrnehmen konnte, hörte ich von meiner rechten Seite ein leises Surren und sah aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Ohne Nachzudenken sprang ich zurück durch die Tür, aus der ich gekommen war.
Ich machte mich daran, über meine Konsole Anweisungen vorzubereiten, die das einfache Pilotsystem des automatischen Geschützes mit widersprüchlichen Steuerkommandos und falschen Zielinformationen verwirren würden. Doch noch bevor ich die wenigen Befehle, die dafür notwendig waren, übertragen konnte, hob Shear die ausgestreckte rechte Hand, in der sich daraufhin eine unwirklich leuchtende, silbrig-blau glänzende, flimmernde und in die Länge gezogene Form bildete. Dieses Ei warf er dann mit einer fließenden Bewegung blind den Gang entlang auf das Geschütz zu. Direkt danach dröhnte eine laute Explosion durch den Bunker und eine Menge kleiner Metallteile flogen in unsere Richtung und verkündeten das Ende der Selbstschussanlage. Eindrucksvoll!
Die zerstörte Drohne hatte den Abstieg in ein tieferes Geschoss bewacht. Am Fuß einer Treppe lag eine Art Werkstatt. Auf einer Arbeitsplatte lag eine Compuforce Taskmaster Steuerkonsole, die ich anerkennend an mich nahm. Am anderen Ende des Raumes fiel uns ein mit Wasser gefülltes Becken auf. Galahad sah es sich genauer an; es war von innen beleuchtet und strahlte in einem unheimlichen Licht. Fast rechnete ich damit, dass sich jeden Moment ein riesiger Tentakelarm über den Rand auf uns zu schieben würde – aber nichts dergleichen passierte.
Stattdessen fand ich auf der Arbeitsplatte fünf Kortexbomben, was mir einen angeekelten Schauer über den Rücken sandte. Ich bemühte mich, sie auszublenden, und entdeckte ebenfalls auf der Werkbank einen Kasten mit 15 sorgfältig beschrifteten kleinen Fächern. Auf jedem davon standen ein Name und ein 10-stelliger alphanumerischer Kode. Unter den Namen war auch der, den wir suchten: Weinberg. In den Fächern lag jeweils ein kleines elektronisches Gerät, das außer einem Knopf keine Bedienelemente erkennen ließ. Shear fotografierte die Kodes mit seinem Kommlink, und ich nahm alle fünfzehn Geräte an mich.
In mir entstand das ungute Bauchgefühl, dass die Kortexbomben, die Geräte und die Kodes mit den Banküberfällen und dem Vorgehen der Fabulous Bunker Boyz in einer unheilvollen Verbindung stand, und wollte so schnell wie möglich aus dem Bunker kommen. Auf dem Weg nach Draußen fand Shear in einer spartanisch eingerichteten Wohnung noch zwei gesicherte und blockierte Credsticks, die er an sich nahm. Außerdem fand Galahad in einem Spind zwei Sätze Sicherheitspanzerung, während ich in der selben Waffenkammer mehrere neuwertige Schusswaffen entdeckte. Zwei Savalette Guardian, drei Ares Executioner und eine Fianchi SPAS-24 würden auf dem Schwarzmarkt sicher eine hübsche Summe einbringen. In einem zweckentfremdeten Kopfkissenbezug, den ich aus der Koje einer Unterkunft nahm, schleppte ich die Waffen mit mir mit.
Auch, wenn wir auf nichts Anderes stießen, das wir mitnehmen und zu Geld machen konnte, war der Bunker doch voller merkwürdiger Funde. In einem unzugänglichen Raum stand ein vollständiger antiker Kampfpanzer, ein Raum enthielt ein altmodisches Möbelstück, dass an ein Keyboard erinnerte, und hinter einer unscheinbaren weiteren Stahltür lag ein verlassenes, unterirdisches Stück Straße, das wahrscheinlich die Fluchtroute der Fabulous Bunker Boyz darstellte.
Nachdem wir den ganzen Bunker abgesucht hatten, machten wir uns auf den Weg zurück zu Romeo 1. Zum Glück erwarteten uns keine weiteren Überraschungen.
8
Erleichtert stiegen wir in den Van ein, und ich rief Sierra 2 und Sierra 3 zurück. Danach fuhren wir aus dem Parkhaus, und Galahad rief unseren Johnson an, um ein Treffen zu vereinbaren. Mr. Johnson hatte es echt eilig, an den Kode zu kommen, so dass wir uns wenige Minuten später in einer verlassenen Gasse unweit des Einkaufszentrum mit ihm trafen.
Johnson erschien alleine in der Gasse, die außer ihm leer und verwaist war. Nur einige dicke Ratten saßen neben den Müllcontainern und schienen uns gelangweilt zu beobachten.
Ohne lange Umschweife übergaben wir den gesuchten Kode. Mr. Johnson war sehr zufrieden, und wir erhielten zusätzlich zur vereinbarten Abschlussrate noch einen kleinen Zuschlag von ¥ 500. An den übrigen Kodes hatte unser Auftraggeber kein Interesse. Der Troll wirkte sogar regelrecht angewidert, als wir sie ihm ebenfalls anboten. Ich war ziemlich froh darüber – wer weiß, was jemand damit anfangen konnte, wenn die Geräte wirklich zur Kontrolle von weiteren Kortexbomben dienten, wie ich vermutete. Wir verabschiedeten uns und ich schickte Romeo 1 auf den Weg zurück nach Auburn.
Während der automatischen Heimfahrt sah ich mir die Geräte, die wir mitgenommen hatten, etwas genauer an. Sie zeigten keine WiFi-Aktivität und funkten, soweit ich das mit meiner Ausrüstung untersuchen konnte, auch nicht auf einer analogen Frequenz.
Wir berieten, wie wir weiter vorgehen sollten. Shear schlug vor zu versuchen, die Sicherheitspanzerungen und die Riggerkonsole über einen seiner Kontakte zu verkaufen, was Galahad und ich für eine gute Idee hielten. Obwohl wir auch die Waffen zu Geld machen konnten, wurde ich von Shear und ihm überstimmt, die sie lieber zuerst Phoenix anbieten wollten. Shear wollte auch die rätselhaften elektronischen Geräte zu verkaufen versuchen, aber Galahad und ich waren dagegen. Wir wollten die Dinger auch nicht einfach in einer Mülltonne entsorgen, so dass Galahad vorschlug, sie den Knights zu übergeben. Eine großartige Idee, und unerwartet vernünftig. Warum war ich nicht gleich selbst darauf gekommen?
Sofort rief ich Sergeant Anderson an. Ich drängte ihn, dass er sofort ein Einsatzteam in den Bunker schicken sollte, um möglicherweise noch die Fabulous Bunker Boyz bei ihrer Rückkehr verhaften zu können. Ich berichtete ihm von den Selbstschussanlagen und den Kortexbomben und kündigte an, ihn persönlich treffen zu wollen, um ihm etwas Heikles zu übergeben, das mit den Einbrüchen der Bande in Zusammenhang stand. Sven verstand die Dringlichkeit und versprach mir, sich sofort um die Sache zu kümmern und später mit mir treffen zu wollen. Erleichtert beendete ich den Anruf, setzte Galahad und Shear bei ihrer Unterkunft ab und fuhr ebenfalls nach Hause.
Als Erstes wollte ich die WiFi-Funktion der geklauten Waffen deaktivieren, ehe sie den Fabulous Bunker Boyz noch unseren Aufenthaltsort verraten konnten. Ich fragte mich kurz, ob Shear sich darum auch bei der Riggerkonsole und den Sicherheitspanzerungen kümmern würde. Ich musste unfreiwillig lachen, als ich erkannte, wie absurd der Gedanke war. Ich nahm mir vor, ihn später anzurufen und zu warnen, aber hoffte erst einmal, dass er eine Käufer für die Sachen finden würde, ehe es eine Rolle spielte. Die AR-Icons der Waffen schimmerten vor mir und überlagerten die physische Form. Die Hersteller hatte sich viel Mühe gegeben, ihre Modelle individuell zu gestalten.
Noch ehe ich mit der Arbeit beginnen konnte, tauchte ein ARO vor mir auf, und der Kommteil meiner Konsole zirpte leise in meinem Ohr. Shears Kommlink hatte mir eine Nachricht geschickt. Sein Hehlerkontakt wollte sowohl die Riggerkonsole als auch die Sicherheitspanzerungen kaufen; für die gesperrten Kredsticks bot er ebenfalls Geld an, allerdings nur einen winzigen Betrag, so dass wir versuchen wollten, die Sticks selber zu entsperren (oder durch jemanden, der sich damit auskennt, entsperren zu lassen).
Wunderbar! Das klang nach guten Neuigkeiten. Beschwingt fing ich an, die geklauten Waffen von der Ortung über die Matrix abzuschneiden.