Shadowrun: A Cottage in the Woods (21.06.2076)

A Cottage in the Woods
Sonntag, 21.06.2076
Es begann mit einer kurzen Nachricht von Chippie. Nur das Wort “Biz” und ein Komm-Code. Als ich die Nummer anrief, erschien das Abbild eines edel gekleideten schwarzen Zwergs vor mir, der mit französischem Akzent sprach. Er bestellte mich für ein Treffen um 19 Uhr ins Elliott’s am Pier 60. Ich sollte in angemessener Kleidung erscheinen und meinen Kollegen mitbringen. Zeit für Rückfragen hatte ich nicht.
Nachdem ich nachgeschaut hatte, dass das Elliott’s ein teures französisches Restaurant war, checkte ich erstmal meine Finanzen. Hurra, ich hatte inzwischen einen Käufer für den ersten Träger Bold gefunden! Ich würde mir ein paar Geschäftsausgaben leisten können. Ich machte mich auf, um Echo 1 zu finden. Im Cuppa Joe’s war er so früh am Tag noch nicht. Allerdings wusste der Barkeeper, dass er um 16 Uhr dort sein wollte. Also erkundete ich kurz die Gegend um den Treffpunkt und besorgte mir erstmal in der Mall einen edlen Smoking. Dann versuchte ich es noch einmal im Cuppa Joe’s. Und siehe da: Echo 1 war pünktlich. Was auch immer er um diese Zeit dort eigentlich gesucht haben mochte.
Wir beschafften auch für ihn einen neuen, vorzeigbaren Anzug, luden sein Motorrad in Romeo 1, und er rief zwei Kontakte von sich an, die er bei einem Run dabei haben wollte. Ich sammelte also kurz darauf zwei weitere Elfen irgendwo in Auburn ein: Shear, einen auffälligen, dürren Albino mit Schweißerbrille und Gesichtstattoo, und Phoenix, einen vernarbten und vercyberten Typen mit schneeweißem Iro. Nach einer kurzen Befragung wusste ich: November 1 und Lima 1.
November 1 interessierte sich für meinen Berufshintergrund, ließ aber selbst nichts blicken. Lima 1 war professionell und vercybert. Wir integrierten seine Videofeeds in das Teamnetz. Am Elliott’s mussten wir unsere Waffen im Wagen lassen und konnten dann unseren Johnson treffen. Der Mann stellte sich als Nazer vor. Lima 1 recherchierte, dass er ein bekannter Magier aus der High Society war. Er bot uns 5.000 ¥ pro Kopf an, damit wir ihm innerhalb von drei Tagen die Daten von einem System aus einer verlassenen Jagdhütte in Auburn holten. Über Funk besprachen wir uns unauffällig und nahmen den Auftrag an.
Erst dann erfuhren wir, dass es sich bei der Hütte um ein ehemaliges Kapitelhaus der Illuminati of the New Dawn handelte, in dem der Orden mit HMVV-Infektionen experimentiert hatte. Tolle Aussichten also.
Auf einmal wirkte der Run deutlich weniger reizvoll. Aber Geschäft ist Geschäft. Wir verabredeten, dass ich die Anderen am nächsten Morgen um 06:00 Uhr abholen würde und machten uns auf den Weg zur Waldhütte.
Montag, 22.06.2076
Noch ehe wir richtig ankamen, wurde November 1 im Astralraum von einem mächtigen Bärengeist ausgeknockt, ohne dass wir Anderen davon etwas bemerkt hätten. Er fing einfach an, aus der Nase zu bluten, und war bewusstlos.
Wir hatten erstmal keine Ahnung, was eigentlich los war, und sahen zu, dass wir wieder das Weite suchten. Erst nach über einer Stunde (und nach liebevoller Zuwendung meines MedKits) wurde November 1 wieder wach und konnte berichten. Mit mulmigem Gefühl ging es dann zurück in den Wald in der Nähe der Grenze zum Salish-Sidhe-Council.
Sierra 2 und Sierra 3 zeigten uns, dass die Hütte riesig und fast völlig zerfallen war. 7 Tangos in der AO – es waren einige menschliche Ganger, die in der Ruine herumsaßen; keine Ahnung, ob sie dort auch etwas suchten, oder das Haus als ihren Unterschlupf nutzten. In Formation und unter Deckung von Sierra 5 rückten wir in den Wald vor. Sierra 4 gewährleistete einen freien Rückzug zu Romeo 1. November 1 hatte kurz vorher einen Oscar beschworen, einen Geist aus Feuer, der sich uns anschloss. Eine unheimliche Sache!
Das ganze wurde noch unheimlicher, als wir schon nach ein paar hundert Metern von einem riesigen Bären angegriffen wurden – das musste der Geist sein, der vorher November 1 ausgeschaltet hatte!
Lima 1 beharkte ihn mit einer Autosalve seines Sturmgewehrs, und auch, wenn das Vieh das nicht einfach abschütteln konnte, stand es danach immer noch vor uns und wirkte deutlich wütender. Dann stürzte sich Echo 1 mit bloßen Händen auf ihn. Mit lautem Brüllen löste der Geist sich in Luft auf! Ich dachte mir danach, dass dieser Galahad mehr war als nur ein Straßensamurai.
Wir schlichen uns an die Hütte an und beobachteten eine Weile. Wenn mich nicht alles täuscht, gehörten die Ganger zu den Spectres – einer Gang, die nur aus Menschen bestand und weit am unteren Ende der Schattenhierarchie stand.
Nach einigen Minuten des Abwartens ging November 1 offen auf die Ganger zu und sprach den Mann an, der wahrscheinlich ihr Anführer und der Magier war, der den Bärengeist kontrollierte. Die Geschichte, die er ihnen erzählte, war beinahe die Wahrheit, und die Spectres hörten tatsächlich zu!
November 1 wollte, dass die Gang uns alleine die Ruine durchsuchen lassen würden, und fast hat es zuerst so gewirkt, als würde der Anführer einlenken. Verrückt! Dabei wirkte der nicht gerade wie jemand, der Anderen gerne einen Gefallen tun würde. Einige seiner Jungs haben sich auch gewundert und angefangen, ihn anzupöbeln.
Die Stimmung kippte dann schnell, und als die anderen Ganger Waffen zogen und aussahen, als würden sie damit auf einander oder sogar auf November 1 schießen, erhöhte ich die Bedrohungsstufe auf Rot 7 und eröffnete das Feuer. Sierra 5 und Lima 1 hatten gute Feuerpositionen. November 1 tötete den Anführer mit einem garstigen Säurestrahl. Zwei Tangos flohen, als sie sahen, dass er nicht alleine war und massive Unterstützung hatte.
Aber fuck, Lima 1 und November 1 waren keine Profis!
Aus Angst, dass die beiden sie später wiedererkennen könnten, wollten sie die Fliehenden allen Ernstes geeken! Echo 1 und ich konnten das zwar verhindern, aber ich glaube nicht, dass ich mit den beiden langfristig zusammen arbeiten kann. Was, wenn unser nächster Auftrag in einer Wohngegend stattfindet? Echo 1 war außer sich und machte auch mir Vorwürfe, dass ich überhaupt das Feuer eröffnet habe.
Ich hab mir nachher die Aufzeichnungen der Videofeeds angesehen. Zwar hat keiner der Tangos erkennbar auf November 1 angelegt, aber sie waren erregt und nicht berechenbar und zeigten die Bereitschaft zu schießen. November 1 verhielt sich passiv und stellte für sie keine ersichtliche Bedrohung dar, so dass er in dieser Situation der war, den es zu schützen galt.
Dennoch hatte Galahad Recht. Mit einem meiner alten Teams hätten wir die Lage wahrscheinlich nicht-letal ohne Tote beherrschen können. Weder November 1 noch Lima 1 hatten versucht, die Ganger zu beruhigen, uns fehlten in dieser Situation sowohl eine klare Führungsstruktur als auch eine vorherige Absprache und ein eindeutig definiertes Verhandlungsziel.
Im Nachhinein glaube ich, dass November 1 die Situation bewusst in diese Richtung gesteuert hat, obwohl ich keine Ahnung habe, wie er das angestellt hat. Beunruhigend!
Ich musste eine Nachbesprechung mit dem Team machen. Wir brauchten nicht-tödliche Strategien, die mit eingeschränkter Ausstattung und einem asymmetrisch ausgebildeten Team funktionieren konnten. Ich musste sehen, ob sich sowas mit November 1 und Lima 1 umsetzen ließ. Wenn nicht, würden Echo 1 und möglicherweise auch ich eventuell ausscheiden.
Echo 1 und ich blieben außerhalb der verfallenen Hütte, während November 1 und Lima 1 eine verborgene Falltür in einen gut erhaltenen Keller entdeckten. Im Keller verbarg sich ein Critter, irgendein erwachter Dachs, der uns mit Schallwellen beeinträchtigte, ehe Echo 1 hinzu eilte und ihn (wiederum mit bloßen Händen) tötete. Beeindruckend! Wir gingen schließlich alle gemeinsam in den Keller runter und fanden schnell den gesuchten Rechner. Das System war passwortgeschützt und vor Ort ohne weitere Ausrüstung nicht zu entsichern, so dass ich es kurzerhand mitnahm.
Wir fuhren alle zurück in die Stadt und vereinbarten eine Übergabe mit Nazer für den selben Abend. Diesmal gab es leider kein leckeres französisches Abendessen auf Kosten des Auftraggebers für uns, wir erhielten aber die versprochene Belohnung und gingen danach unserer Wege.